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Der Dichter Jakob Lenz: sein Leben, seine Werke, und Büchners Darstellung
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Als Sohn eines streng pietistischen Pfarrers wurde Jakob Michael Reinhold Lenz durch die Ansichten und Überzeugungen seines Vaters tief geprägt, sowohl in seinem alltäglichen Leben als auch in seinen Schriften. Geboren wurde er im Januar 1751 in Seswegen, einem kleinen Dorf in Livland, wo sein Vater Pfarrer war. Kurz nach dem Geburt Lenzens übersiedelte die Familie nach Dorpat, einer größeren Stadt, wo Lenz dann auch die Schule und die Universität besuchte. Der Vater Lenzens, Christian, war ein angesehner Theologe des Pietismus und ein schonungsloser Gläubiger, der an alle anderen Lebensführungen Kritik übte: »in diesem Charakterzüge des Vaters Lenz liegt auch der Grund zu den späteren traurigen Zerwürfnissen mit dem talentvollen Sohne, dessen Natur sich nicht in den engen, schablonenhaften Rahmen einzwängen ließ, den der starre Wille des pietistischen Greises ihm vorgezeichnet hatte.« [1] Als Student der Theologie besuchte Lenz zuerst die Universität Dorpat: diese Laufbahn habe ihm der Vater bestimmt. Er entschied sich aber 1768 nach Königsberg umzuziehen, denn »dem jungen Dichter, dem Sohne des öden Livland, mangelte noch die unmittelbare Bekanntschaft mit der westeuropäischen Kultur.« [2]
Lenz schrieb während seines Studiums an der Königsberger Universität sein erstes dichterisches Werk, Die Landplagen, ein Gedicht über Katastrophen im Leben eines Bauers. Er zeigte sich in Königsberg als ein empfindsamer Geist: er ging nur selten in die Vorlesungen für Theologie, und er zog seine eignen poetischen Versuche und Lektüre vor. Auch wurde die Musik ihm dann unheimlich gern: »Nur am Gesange, den er von ganzer Seele liebte, beteiligte er sich mit Vergnügen. Auch das Spiel auf der Laute bereitete ihm Genuß.« [3] Als er aber 1769 die Vorlesungen über Logik und Metaphysik bei Immanuel Kant hörte, fand er wieder für seine Studien Interesse. Diese Vorlesungen wirkten stark auf die Ideen Lenzens: der kantesche Einfluß »führte ihn in den Ideenkreis Rousseaus ein; er trug wesentlich zur Entwicklung der realistischen Seite seines Talents bei, und weckte in ihm den Geist der Kritik und der Analyse.« [4] Lenz lernte in Königsberg auch den schon berühmten Johann Georg Hamann kennen. Der spätere Briefwechsel zwischen ihnen war sicherlich auf beiden Seiten einflußreich, denn Hamann brachte in Lenz eine Verehrung der Dramen Shakespeares ein -- ein Motiv, das in den späteren Werken Lenzens immer wieder auftauchte. 1771 beschloß sich aber Lenz, wieder die Universität zu wechseln, und zwar nach Straßburg, wo er glaubte, »die eigentlichen Zentren der europäischen Bildung kennen lernen« zu können. [5] Auch wurde ihm eine günstige Gelegneheit angeboten, daß er mit den zwei jüngeren Baronen von Kleist dorthin reisen solle, um ihnen Begleitung auf der Reise durch Deutschland zu leisten.
So kam Lenz 1771 in Straßburg an, wo er sich bald mit den größen Dichtern und Denkern, die da verweilten, begegnen ließ. Obwohl Herder kurz vor dem Ankunft Lenzens aus Straßburg abgereist war, entwickelte sich zwischen den beiden Dichtern ein lebendiger Briefwechsel, von dem leider nicht sehr viel aufbewahrt ist. Goethe, der damals auch in Straßburg studierte, machte auf Lenzen den größten Eindrück: Lenz wurde durch dessen Einfluß ein überzeugter Vertereter der Sturm-und-Drang Bewegung. Es muß aber gesagt werden, daß die Ideen Lenzens schon vorher ziemlich ähnlich zu den des jungen Goethes waren: in Dichtung und Wahrheit nannte Goethe den Lenz einen seiner »Gleichgesinnten«, und ihre Interessen waren wirklich doch dieselben: »die Liebe zur Literatur, die Begeisterung für Shakespeare, gleiche literarische Geschmacksrichtungen, eine unklare Gärung der Jugend -- alles dies führte die Jünglinge ... zusammen.« [6]
Der Einfluß Goethes auf Lenzen darf aber auch nicht unterschätzt werden: schon 1771 hatte Goethe seine Freundin Frederike Brion verlassen, und bald danach erschien Lenz, der an Goethes Stelle als Verehrer tritt. Es wurde dann im Lauf der Zeit zu einer dauernden Liebschaft an der Seite Lenzens, und obwohl Lenz sich doch später in viele anderen Frauen (z.B. Cleophe Fibich, Cornelia Schlosse und Charlotte von Stein) verliebte, blieb Frederike durch sein ganzes Leben am wichtigsten: »Sie war seine dauerhafteste Neigung, die viele andere überlebt hat. Ihretwegen versuchte er Selbstmord, ihren Namen wiederholte er in den Wahnsinnsphantasien, ihrer gedachte er zuerst, als er krank und moralisch gebrochen nach zwölfjähriger Abwesenheit in die Heimat zurückkehrte.« [7]
In Straßburg begegnete Lenz aber nicht nur gesellschaftlichen, sondern auch akademischen und finanziellen Schwierigkeiten. Er bekam von seinem Dienst zu den Baronen von Kleist gelegentlich freie Wohnung und Verpflegung, aber keinen eigentlichen Lohn. Er schrieb also öfters an seinen Vater, um ihn um Geld zu bitten; da dieser aber auch unter Schulden lag, fiel es dann auf den Bruder Lenzens, den Karl, Jakob aus dieser Lage hervorzuheben. Dem Vater gefiel die neue Lebensart seines Sohnes in Straßburg gar nicht; besonders Lenzens Interesse an die Literatur fand er tadelhaft. Lenz blieb jedoch seiner christlichen Glaube treu, aber er entschied sich doch, den Wünschen seines Vaters nicht zu folgen, wie er in einem Brief schrieb: »Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin ... Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen -- da müßte ich Ihnen Bogen voll schreiben. Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches -- sondern das Gefühl meines ganzen Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt.« [8]
In Straßburg begann auch die literarische Entfaltung Lenzens: eine Übersetzung und Umarbeitung einiger Lustspiele von Plautus waren sein erstes erfolgreiches Werk, und 1774 kam sein erstes Drama, den Hofmeister, heraus. Dieses Drama, das sich stark auf die früheren Erfahrungen Lenzens in Livland basiert, gewann großen Beifall unter den jungen Stürmern und Drängern. Da es anonym erschien, wurde Geothe lange für den Autor gehalten, aber nach einer besonders positiven Rezension des Werkes von Wieland, gab sich Lenz als der Autor an.
Im selben Jahr erschien das wichtige theoretische Werk von Lenz, seine Anmerkungen übers Theater, in dem er die zeitgenössische Dramentheoretiker zu überzeugen versuchte, Shakespeare als Vorbild für die deutsche Schaubühne anzunehmen -- insofern gleichen also seine Meinungen denen von Lessing. Robertson behauptet, Lenz zeige in dem Werk sehr wenig Respekt vor Aristoteles, denn er behauptet, daß die aristotelischen Einheiten überhaupt altmodisch und unflexibel seien. [9] Eigentlich schätzte Lenz aber die Dramen und die Poetik der alten Griechen sehr: seine Kritik betrifft eher die damals modische französische Interpretation des Aristoteles. Lenz glaubt also, daß »die französischen Dramatiker sich sklavisch den Gesetzen der Aristotelischen Poetik unterwürfen und ihren Verstand an der kleinlichen Beobachtung der drei bedingten Einheiten schärften ... Nicht Aristoteles, sondern die Natur müsse der Baumeister des Dramas sein.« [10] Statt dieser drei Einheiten schlägt Lenz also vor, an einer einzigen Einheit der Charakter festzuhalten, wie Shakepeare es gemacht habe: er glaubt also, daß »die Charaktere die Hauptsache sein müßten, die Handlung erst an zweiter Stelle in Betracht käme.« [11]
Als Beilage zu den Anmerkungen fügte Lenz einige seiner Übersetzungen von Plautus und Shakespeare hinzu. Da sein Englisch aber nicht so gut wie sein Latein war, bemerkt Rosanow, daß es eigentlich viele Fehler in den Shakespeareübersetzungen gebe: »Er zog es vor, den Sinn des ihm unverständlichen englischen Wortes zu erraten, verwechselte dabei ähnlich klingende Worte und erläuterte sie nach dem Gleichklang mit deutschen Worten ... das Zeitwort to hight (heißen, nennen) nimmt er für das Eigenschaftswort high (hoch); er übersetzt daher »hoher Armado,« wo es der »sogenannte Armado« heißen müßte. Ebenso entging Lenz der Unterschied zwischen den englischen Worten: lowliness und loveliness, to bite und to beat, wight und weight, brooch und broach.« [12]
Die Rezeption der Anmerkungen war äußert positiv: besonders unter den jungen Stürmern und Drängern gab es begeisterte Rezensionen -- ein wunderbares Beispiel der Sturm- und Drangstil kommt in diesem Auszug aus einer Artikel der Frankfurter gelehrten Anzeigen: »Ein sehr vollwichtiger Beytrag zur Dramaturgie! tiefdurchdachte Einsichten in die Kunst! ächtes [sic] warmes Gefühl des Schönen! anschauend dargestellt!« usw. [13] Auch fand die Werken Lenzens besonders gute Rezensionen bei dem Schwager Goethes, J. G. Schlosser. Lenz schloß sich deswegen dem Schlosser als Freund an, denn wegen dessen Kritik sah Kenz also ein, daß »es Menschen gab, die den Sinn seines Stückes verstanden hatten und seine edlen Absichten schätzten.« [14] Lenz entwickelte dann durch Schlosser und durch andere Freunde einen größeren Kreis von ähnlich gesinnten Stürmern und Drängern -- von denen die meisten auch Pietisten und Freunde waren, die ihm in späteren Jahren zu Hilfe kamen.
Doch gefiel es Lenzen in Straßburg nach einer Weile nicht so sehr. Seine literarischen Versuche waren dort zwar ergiebig, aber seine finanziellen Schwierigkeiten sowie auch seine gescheiterte Liebe zu Frederike überzeugte ihn, in Frühling 1776 Goethe in Weimar zu besuchen -- in der Tat hatte er es wahrscheinlich bereits vor, dorthin zu übersiedeln.
Kurz bevor er aber die Stadt Straßburg verließ, erschien vielleicht sein wichtiges Drama, Die Soldaten (1776): es kam aber anonym heraus, denn Lenz habe es es eigentlich nicht veröffentlichen wollen. [15] Die Soldaten behandelt nach Robertson das Problem des Soldaten als Feind der bürgerlichen Gesellschaft -- insofern ist es, behauptet er, realistischer als die meisten der zeitgenössischen Dramen. [16] Auch ist das Stück anders als die früheren Dramen Lenzens, insofern Lanz hier eindeutig versucht hat, seine dramatischen Theorien in ein echt beispielhaftes Stück einzuarbeiten. In Kontrast also zu dem Hofmeister, in dem eine Reihe »ungewöhnlich scharf gezeichneter Charaktere« auftreten, schreibt Rosanow: »Solche ausgebildete und originale Charaktere würden wir in den Soldaten vergeblich suchen, obgleich dieses Stück in der künstlerischen Ausarbeitung das ältere weit übertrifft.« [17]
Lenz kam im März 1776 in Weimar an, und wurde ins Haus Goethes für kurze Zeit aufgenommen. Er wurde schnell zu einer populären Figur in der Stadt, und er begenete da auch vielen literarischen und gesellschaftlichen Persönlichkeiten, unter ihnen also Frau Charlotte von Stein und dem Herzogen Karl August. Bald wurde Lenz zum Hofpoeten in Weimar, und der Kreis seiner Freunden schloß sich noch enger und freundlicher zu: »Der Herzog, Goethe, Wieland und Lenz duzen einander«, [18] schreibt Rosanow, aber diese Freundlichkeit wird nicht sehr lange nich aufbewahrt. Lenz schien zum Leben am Hofe nicht gut angemessen; obwohl es damals Mode war, kleine Witze und Satire über andere Hofleute zu machen, gab es sicherlich Grenzen, die Lenz eines Tages scheinbar überschritt: »Durch die allgemeine Sitte ermutigt, folgte Lenz diesem Beispiele, wobei er sich augenscheinlich nicht in den Schranken des Erlaubten und Zulässigen gehalten hat ... auch liegt es nahe, zu vermuten, daß die Beziehungen der Frau von Stein zu Goethe in dem Pasquill erwähnt waren.« [19] Als Folge seiner »Dummheit« mußte Lenz am 1. Dezember 1776 Weimar verlassen, was für ihn nicht nur eine gesellschaftliche sondern auch eine psychologische Niederlage bedeutete. Er hatte nur noch seine Freunde aus Straßburg, an die er sich wenden konnte -- er floh also zu seinem Brieffreund Schlosser in Emmendingen, der Lenzen in einem höchst erregten und verwirrten Zustand empfang. Bald aber, als Lenz Trost in der Familie Schlossers aufnahm, ging es ihm besser, und er beschloß sich, seinen guten Freund Lavater in der Schweiz zu besuchen.
1777 war er also zu Besuch bei Lavater in Zürich, aber in Juni erfuhr er von dem Tod der Cornelia Schlosser (der Schwester Goethes), was ihm sehr betrübte. Er fiel also wieder in eine tiefe Depression, und kam diesmal nicht gleich wieder zu Sinnen: »seine Stimmung war gegen Ende des Jahres 1777 traurig und trübe, er litt seelisch und physisch. Er zwingt sich 'zu einem giftigen Lachen über sich selbst und sein Schicksal'.« [20] Er ging Oktober 1777 also zu dem Pietisten und Philologen Kaufmann in Winterthur in der Schweiz, um seiner geistigen Verbesserung eine gute Wendung zu verschaffen. Das gelang ihm da aber nicht; im Gegenteil schien seine Lage nur noch schlimmer zu werden, denn er erlebte im November 1777 die erste seiner geistigen Anfälle, die bald häufiger wurden. Wegen dieser Anfälle schickte ihn Kaufmann im Januar 1778 zu seinem Feund in Waldersbach, dem pietistischen Pastor Oberlin, wo jetzt die Erzählung von Büchner die Geschichte gespiegelt. Die Handlung konzentriert sich zwar vielmehr in der Geschichte auf die Gedanken Lenzens und wie er also die Welt um ihn betrachtet -- aber auch auf eine ziemlich genaue Darstellung der Krankheit Lenzens (z.B. er sagt »Hören Sie denn nicht die antsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit, und die man gewöhnlich die Stille heißt?«). Es steigt doch aus diesen Schilderungen das Bild eines höchst emfindsamen Geistes heraus, der nicht nur aus gesellschaftlichen und religiösen Handlungen manipuliert wird, sondern dem auch geholfen wird, in die Gesellschaft wieder einpassen zu lernen.
Georg Büchner schrieb die Erzählung Lenz im Oktober 1835, als er in einem Brief aus Straßburg an die Familie erwähnt: »ich habe mir hier allerhand interessante Notizen über einen Freund Goethes, einen unglücklichen Poeten namens Lenz verschafft, der sich gleichzeitig mit Goethe hier aufhielt und halb verrückt wurde. Ich denke darüber einen Aufsatz in der Deutschen Revue erscheinen zu lassen.« [21] So ein Aufsatz erschien jedoch nicht; erst nach dem frühen Tod Büchners wurde die fragmentarische Erzählung Lenz 1839 von Karl Gutzkow veröffentlich, zusammen mit anderen hinterlassenen Werken Büchners.
Wie Büchner im Brief erwähnt, basiert er seine Erzählung auf die Auskünfte, die ihm in Straßburg vorgekommen sind. August Stöber, der Autor einer Biographie Oberlins, hatte Briefe und andere Dokumente gesammelt, die mit den Ereignissen in Waldersbach zu tun hatten, und diese Schriften standen Büchner durch den Einfluß seines Paters zur Verfügung. So lautet vieles in der Erzählung Büchners unmittelbar ähnlich dem Bericht Stöbers über Lenzens Aufenthalt bei Oberlin, obwohl die Beschreibungen der Gedanken und Gefühle Lenzens sicherlich originell sind.
Auch ist die lange Diskussion der Idealen der Kunst in der Mitte der Erzählung eher eine Äußerung Büchners als eine Wiederspiegelung der Ideen Lenzens. Immerhin haben die beiden Dramatikern doch ähnliche Gedanken über die Gestalt des idealen Dramas geäußert: beiden haben sich für eine offene Form des Theaters, wie es in den englischen (aber nicht in den französischen) Dramen häufig vorkam, eingesetzt. Auch haben beide, behauptet Reeve, den Künstler als Nachahmer Gottes betrachtet, [22] was Wittkowski auch bestätigt: den Ich des Künstlers »soll er hinter der Dichtung ganz zurücktreten lassen, gleichzeitig aber Richter der Lebendigen und Toten sein.« Wittkowski schreibt auch, daß es eine führende Gedanken von beiden Schriftstellern war, daß es die Aufgabe des Menschen war, sich »durch unendlich viele Stufen hindurch weiter zu vervollkommnen. Das Leiden ist also entscheiden zu bejahen.« [23]
Deswegen also die letzten Worte der Erzählung: »So lebte er hin.« In der Tat gab es aber noch vieles, was Lenzen noch zu erleben hatte. In Straßburg besuchte Lenz noch einmal einen streng pietistischen Pastor namens Schtuder: dieser überzeugte Lenzen, er müsse noch viel beten, und schickte ihn dann wieder nach Emmendingen zu Schlosser. Von hier an wurde Lenz an vielen Freunden geschickt, häuptsächlich aber war es Schlosser, der mehrmals mit Lenz versuchte, seine »geistige Umnachtung« aufzulösen. Diese Versuche nahmen verschiedene Formen, doch eine im besonderen, von dem Sturm-und-Drang-Verfasser Klinger ausgedacht, verdient die Erwähnung. Da Lenz nachts seine gewaltigste Anfälle habe, beschloß Kinger: »abends wurde Lenz entkleidet, in den Reisemantel Klingers gewickelt und nach einem kleinen, hinter dem Garten fließenden Bach getragen; hier angenommen, wurde Lenz ins Wasser geworfen und gezwungen, in demselben zehn Minuten lang zu verweilen.« [24] Diese und viele anderen Behandlungen gewannen nur flüchtigen Erfolg, und Lenz fiel jedesmal wieder in einen schlimmeren Zustand. Endlich kam Juni 1779 Lenzens Bruder Karl zu Besuch, und, da er seinen Bruder völlig verwahrlost und wahnwitzig fand, brachte ihn zurück zu der Familie in Livland.
Lenz sollte nach Wünschen des Vaters in Riga eine Stelle irgendwie finden, um für die Familie Geld zu verdienen. Das fiel ihm aber schwer, und die einzige Möglichkeit, die sich erwies, war als Soldat in dem Kadettenkorps zu St. Petersburg. Da blieb er vom Frühjahr 1780 bis Juli 1781, als er dann weiter nach Moskau reiste. Er blieb also in Moskau elf Jahre lang, bis Ende seines Lebens; doch von seiner letzten Zeit in Moskau gibt es leider nur wenige Spuren. Er schien sich aber ganz in die russische Kultur vertiefen zu wollen. Er interessierte sich sehr für russische Literatur, und schloß sich also vielen Persönlichkeiten der Belletristik in Moskau an. Er blieb aber höchst empfindsam, hatte scheinbar immer noch Anfälle des früheren Wahnsinns, wie sein Freund Karamsin 1787 an Lavater schrieb: »Er befindet sich nicht wohl. Er ist immer verwirrt ... Er wohnt in Moskau, ohne zu wissen, warum. Alles, was er zuweilen schreibt, zeigt an, daß er jemals viel Genie gehabt hat; jetzt aber ... « [25] Lenz starb dann in der Nacht am 23. Mai 1792 allein auf der Straße in Moskau. Seine Ruhestätte ist unbekannt geblieben, als auch der genaue Grund seines Todes. Doch sein Einfluß, nicht nur auf seine zeitgenössischen Stürmer und Dränger, aber auch auf spätere Dichter wie Georg Büchner, ist klar zu beweisen.
Zitate:
(1) | Rosanow, M.N. Jakob M. R. Lenz: der Dichter der Sturm- und Drangperiode. (Leipzig: 1909), S. 35. [return to text] |
(2) | Rosanow, S. 48-49. [return to text] |
(3) | Rosanow, S. 50. [return to text] |
(4) | Rosanow, S. 55. [return to text] |
(5) | Rosanow, S. 76. [return to text] |
(6) | Rosanow, S. 84. [return to text] |
(7) | Rosanow, S. 90. [return to text] |
(8) | Rosanow, S. 88. [return to text] |
(9) | Robertson, J.G. A History of German Literature, Fifth Edition. (Edinburgh: 1968), S. 276. [return to text] |
(10) | Rosanow, S. 148. [return to text] |
(11) | Rosanow, S. 152. [return to text] |
(12) | Rosanow, S. 177. [return to text] |
(13) | Rosanow, S. 161. [return to text] |
(14) | Rosanow, S. 230. [return to text] |
(15) | Rosanow, S. 299. [return to text] |
(16) | Robertson, S. 276. [return to text] |
(17) | Rosanow, S. 307. [return to text] |
(18) | Rosanow, S. 346. [return to text] |
(19) | Rosanow, S. 368. [return to text] |
(20) | Rosanow, S. 379. [return to text] |
(21) | Wittkowski, Wolfgang. Georg Büchner: Persönlichkeit, Weltbild, Werk. (Heidelberg: 1978), S. 329. [return to text] |
(22) | Reeve, William C. Georg Büchner. (New York: 1979), S. 25. [return to text] |
(23) | Wittkowski, S. 332-333. [return to text] |
(24) | Rosanow, S. 393. [return to text] |
(25) | Rosanow, S. 427. [return to text] |
Bibliographie:
Büchner, Georg. Lenz. Berlin: Buchverlag der Morgen, 1983. |
Garland, Henry and Mary. The Oxford Companion to German Literature, Second Edition. Oxford: Oxford University Press, 1986. |
Reeve, William C. Georg Büchner. New York: Frederick Ungar Publishing Co., 1979. |
Robertson, J.G. A History of German Literature, Fifth Edition. Edinburgh: British Book Centre, Inc., 1968. |
Rosanow, M.N. Jakob M. R. Lenz: der Dichter der Sturm- und Drangperiode. (Übersetzung: C. von Gütschow) Leipzig: Verlagsbuchhandlung Schulze & Co., 1909. |
Wittkowski, Wolfgang. Georg Büchner: Persönlichkeit, Weltbild, Werk. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1978. |
Written and © Nancy Thuleen in 1993 for German 131 at Pomona College.
If needed, cite using something like the following: Thuleen, Nancy. "Der Dichter Jakob Lenz: sein Leben, seine Werke, und Büchners Darstellung." Website Article. 23 March 1993. <http://www.nthuleen.com/papers/131paper.html>.
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