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Sprache, Stil, und Thematik in Wolfgang Koeppens Tauben im Gras
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Wolfgang Koeppens Roman Tauben im Gras hat nicht nur thematische Reize für den Leser, sondern ist auch sprachlich bemerkenswert. Koeppens Sprachstil reicht vom alltäglichen Wortgebrauch bis hin zum intellektuellen und journalistischen Diskurs; auch die strukturellen Elemente des Romans sind für das Verständnis des Ganzen ausgesprochen wichtig. Eine exemplarische Analyse seiner stilistischen und thematischen Schwerpunkte hilft dem Leser, den Roman besser zu verstehen und zu schätzen.
I. Entstehung, Rezeption
Wolfgang Koeppen wurde 1906 geboren, und war vor dem Krieg hauptsächlich als Journalist tätig. Er schrieb auch zwei Romane in den 30er Jahren, aber er hatte zu der Zeit noch wenig Erfolg und war kein berühmter Schriftsteller. Während des Krieges schrieb er gar nichts. Auch in den Jahren gleich nach dem Krieg hat er keine Werke veröffentlicht, und als Tauben im Gras Sommer 1951 erschien, war es also sein erster Roman seit fünfzehn Jahren. Die Rezeption des Romans unter den Kritikern war zwiespältig: viele Kritiker lobten Koeppens Stil, den sie als Nachfolger zu Joyce und Faulkner ansahen, aber das Thema und die Aussage des Romans gefielen ihnen nicht. Einige hielten sogar den hoffnungslosen Ton des Romans für unpassend in Hinblick auf die neue Zeit, und stellten, wie es Bungter erklärt, »vorwurfsvoll die alte Frage an einen neuen Adressaten: "Herr Koeppen, wo bleibt das Positive?"« [1]
II. Personen
Ein auffallendes Merkmal dieses Romans ist, daß es in der Erzählung keinen einzelnen Helden gibt. Stattdessen treten mehr als dreißig Personen in die Geschichte auf; nur wenige von ihnen sind aber tief entwickelte Charaktere, was dem Leser manchmal beunruhigt oder sogar verwirrt. Diese Nebenpersonen dienen aber dazu, Beziehungen und Übergänge zwischen den Handlungssträhnen herzustellen, indem sie mit den Hauptfiguren auf verschiedene Weisen in Verbindung kommen.
Einige Personen im Roman lernen wir aber besser kennen, und zwar dadurch, daß Koeppen uns Einsicht in ihre Gedanken und Motivierungen gibt. Manchmal kommt also eine Art innerer Monolog vor, und wir können die Denkweise der Figuren direkt erleben; an anderen Stellen läßt Koeppen uns die Figuren in ihrer Umgebung sehen, und zeigt, wie sie auf verschiedene Situationen reagieren.
Die sieben Figuren, die wir am besten beschreiben und verstehen können, spielen auch für die Handlung wichtige Rollen. Am Anfang des Romans begegnen wir Philipp, dem frustrierten Schriftsteller, der sich nicht mehr ausdrücken kann. Er ist isoliert, wird als Außenseiter von der Gesellschaft dargestellt, und findet am Leben gar keine Freude mehr. Philipp kann beinahe gar nicht mehr handeln; er scheint jetzt nur noch in der Lage zu sein, sich zu überlegen und nachzudenken. Es wäre zu bemerken, daß die Figur von Philipp von vielen Kritikern als ein Selbstbildnis des Schriftstellers selbst betrachtet wird, aufgrund der Ähnlichkeiten in ihren früheren Lebensläufen: »seine [Koeppens] Situation entsprach wohl ganz der des Schriftstellers Philipp,« schreibt ein Kritiker. [2] Emilia, die Frau von Philipp, war vor dem Krieg eine reiche Erbin; sie hat aber ihr ganzes Vermögen im Krieg verloren. Sie trinkt jetzt viel und geriet außer Kontrolle, wenn sie besoffen wird; sie kann sich irgendwie aus der Kindheit oder aus der Vergangenheit nicht zwingen, und obwohl sie sagt, daß sie Philipp liebt, scheint es in der Tat nicht wahr zu sein.
Odysseus Cotton ist ein schwarzer Amerikaner, wohl ein Soldat, der die Stadt besuchen und sich anschauen will. Er ist fast das Gegenbild zu Philipp: er handelt, er bewegt sich und ist aktiv, und die Ereignissen, die in der Geschichte geschehen, scheinen meist um ihn zu kreisen. Merkwürdig ist, daß Philipp und Odysseus sich nie treffen: sie leben an verschiedenen Enden der Gesellschaft, und haben nichts miteinander zu tun. Odysseus verbringt die meiste Zeit mit Josef, dem Gepäckträger vom Bahnhof. Dieser Josef ist fast der einzige stabile Charakter im Buch: er hat zwar noch Bedenken und Zweifel über seine Vergangenheit, aber das scheint ihm in seinem gesellschaftlichen und persönlichen Leben wenig zu stören. In Umgang mit den anderen Figuren kommt er teilweise als kindisch, aber immer als »normal« vor, im Unterschied zu vielen anderen. Am Ende wird er getötet, obwohl der Täter unbekannt bleibt; sein Tod bietet dem Leser aber noch die Möglichkeit, weitere Charaktere, wie z.B die kleine Hillegonda, ausführlicher kennenzulernen.
Washington Price ist, wie Odysseus, auch ein schwarzer amerikanischer Soldat, der in der Stadt stationiert ist. Washington, wie Koeppen es deutlich auslegt, ist wirklich die einzige positiv geschilderte Figur in der Erzählung: er ist ein Strahl der Hoffnung, der seine Träume nicht untergehen läßt, sondern fest an sie glaubt und sie aufrechterhält. Carla, die deutsche Geliebte von Washington, steht aber wieder auf der negativen Seite. Eine ziemlich schwache Frau, verliert sie sich total in Washington, und als sie das Kind abtreiben will, gelingt es Washington noch, dazwischenzukommen und die Abtreibung zu verhindern. Durch diese bedingungslose Liebe von Seite Washingtons kann Carla sich also einigermaßen wieder aufrichten, und ihr Leben wieder in Ordnung bringen.
Die letzte Figur, die wir zum Teil kennenlernen, ist Mr. Edwin. Er ist ein philosophischer Dichter, der in die Stadt reist, um eine Rede zu halten. Diese Rede ist für ihn eine intellektuelle Begebenheit, für sein Publikum aber nur eine gesellschaftliche Feier. Langsam sieht Edwin das auch ein, und erkennt, daß er keinerlei Einfluß auf sein Publikum ausüben wird. Einige Kritiker haben darauf hingewiesen, daß die Figur von Edwin wahrscheinlich eine Anspielung auf T.S. Eliot sei, wie Bungter es schön zusammenfaßt:
| Mr. Edwin, von Koeppen mit dem geistigen Steckbrief T.S. Eliots versehen, ist gekommen, um »die unvergängliche Seele des Abendlandes« zu beschwören; aber er spürt, daß er mit leeren Händen dasteht und eigentlich nichts zu sagen hat. [3] |
III. Handlung
Es ist eine heikle Sache, in einem Roman wie dieser von einer richtigen Handlung zu sprechen. Mit so vielen Personen wäre eine kohärent entwickelte Geschichte fast unmöglich; also fungieren die Personen hier eher wie Schauspieler, die ihre Rollen gut kennen aber keinem Drehbuch folgen. Ein Kritiker beschreibt es so: »Nicht, daß die Mitspieler nicht handelten, daß nichts geschähe; und doch geschieht eher mit ihnen, wird ihnen mitgespielt.« [4] Es gibt keine ausgesprochene Aktion, und auch sehr wenig Bewegung überhaupt: stattdessen berichtet Koeppen einfach von den Vorgängen an einem bestimmten Tag in einer bestimmten Stadt, und zeigt, wie die Charaktere sich einander begegnen und behandeln. Der Tag ist, wie man mit Hilfe der Schlagzeilen feststellen kann, der 20. Februar 1951, und die Stadt ist München, die nie direkt genannt aber oft angedeutet wird.
Das, was in dieser Stadt geschieht, ist weitaus weniger wichtig, als das, was sich in den Gedanken der Figuren entfaltet. Das Hauptthema des Romans ist eigentlich nicht Vergangenheitsbewältigung, wie in so vielen Nachkriegsbüchern der Fall war, sondern Gegenwartsbewältigung. Diese Menschen können mit ihrer heutigen Welt nicht zurechtkommen, aus verschiedenen Gründen, und alle suchen irgendwie Zuflucht oder Rettung aus ihren Umgebungen. Sie fliehen in alternative Weltsphären, um überhaupt überleben zu können, wie am Beispiel der Onanieszene mit Emilia ganz deutlich wird. »So spielen Träume, Erinnerungen und Wunschgedanken eine große Rolle, aber fast immer als fataler Realitätsersatz, selten als ermutigender Trost.« [5] Koeppens Erzähltechnik verläuft so, daß der Erzähler, wenn es überhaupt einen gibt, eher als Kamera funktioniert, und uns Einsicht in die Privatleben und Einzelhandlungen der Menschen gibt.
Der Vergleich des Erzählers mit einer Kamera ist in der Tat durchaus angemessen, denn die Montagetechnik, die Koeppen in diesem Roman anwendet, stammt zum Teil aus der frühen Filmbranche. Koeppens Kamerastellung bleibt fixiert: wir schauen oft nur eine Straßenecke an, und sehen, wie die Menschen dort sich begegnen; auch hören wir ihre Stimmen und Gedanken nur an diesem einen Ort. Manchmal folgen wir einem Charakter ein Paar Absätze lang, dann aber tritt eine neue Person auf, und die Perspektive wechselt zu ihr und zu ihrer Umgebung hinüber.
Die Handlungen, die aber doch im Laufe der Geschichte vorkommen, kann man ohne weitere Erklärung verstehen. Ein Leitfaden durch den Roman ist die Figur von Odysseus: als Fremder in der Stadt ist er dem Leser am verständlichsten, und wir sehen viele Ereignisse durch seine Augen. Auch geschehen fast immer wichtige Handlungen um ihn, wie z.B. der Diebstahl des Geldes und der Tod von Josef. Inzwischen erfahren wir noch von anderen Handlungen, wie von dem Kampf zwischen den beiden Jungen. Dieser Kampf, wie auch der Tod von Josef, löst dann den Angriff auf den Negerklub zum Teil aus, und am Ende sehen wir einen Angriff nochmal wiederholt, als die Straßenjungen schließlich Mr. Edwin überfallen.
IV. Themen
Es gibt eine ganze Reihe von thematischen Schwerpunkten, die im Roman häufig auftauchen. Am interessantesten ist vielleicht das Bild des Chaos, in anderen Worten: ein Verlust der Kontrolle über die Dinge und über die Welt selbst. Die Gesellschaft, die hier geschildert wird, ist chaotisch: sie scheint keine Zusammenhänge mehr zu haben; die Menschen kennen und treffen einander zwar wie immer, aber die Beziehungen zwischen ihnen haben keinen Zweck, sie sind fast sinnlos, sogar absurd, geworden. Auch die Städtebilder, die z.B. Richard vom Flugzeug aus erkennen kann, sind halbzerstört und chaotisch, in einem Zustand der Verwirrung. Diese Unordnung spiegelt genau das wider, was in den Gedanken der Menschen nicht mehr beherrscht werden kann, das heißt ihre Verlust an Sicherheit und an Perspektive. Ein Kritiker beschreibt dieses Chaos so:
| On the surface we see the physical dimension of a city which has been economically and topographically damaged by war, but the topography simply complements the topic. What Koeppen really focuses on is the psychic damage which has turned many of the characters into emotional cripples. [6] |
Dazu kommt auch, daß die Zeit in dem Roman gar keinen ordentlichen Verlauf hat. Als Leser erfahren wir diese Verwirrung, weil die Handlungen, die uns vorgestellt werden, manchmal zur gleichen Zeit sich abspielen, oder wir können die Zeit in den Abschnitten gar nicht festlegen. Für die Figuren im Roman ist diese aber eine Wendezeit, eine Übergangsperiode zwischen dem früheren und dem zukünftigen Leben. Ihre Vergangenheit ist noch ein ausgeprägter Teil ihrer Gegenwart; auch wenn sie diese Vergangenheit vergessen oder verdrängen, bleibt sie bei ihnen im Hintergrund und bestimmt ihr Handeln. Viele suchen also die Zeit zu entfliehen, entweder durch Alkohol, Drogen, Sex, oder Schlafen, aber es gelingt ihnen nie, und sie bleiben an ihrer Zeit verbunden und verzweifelt.
Das Bild der Geschichte in diesem Roman schildert eine fatalistische Vorstellung. Für diese Menschen gibt es keine Entwicklung, keinen Fortschritt. Sie sind nicht imstande, sich aus ihrer Vergangenheit hinauszudrängen, und sie können sich auch keine Zukunft vorstellen. Alles hat irgendwie keinen Sinn und keinen Zweck: wie die Spatzen auf dem Gras, denen alles Zufall ist, sind die Menschen nur zufällig hier und handeln nur zufällig in der Welt. Miß Burnett spricht für viele anderen, wenn sie es sich so erklärt:
| Wir verstehen nicht mehr als die Vögel [...] die Vögel sind zufällig hier, wir sind zufällig hier, und vielleicht waren auch die Nazis nur zufällig hier [...] vielleicht ist die Welt ein grausamer und dummer Zufall Gottes, keiner weiß warum wir hier sind ... [7] |
Koeppen macht hier auch den Faschismus zum Thema: mehrmals kommen Bemerkungen über die Hitlerzeit oder über die Auswirkungen des dritten Reiches vor; viele sind für den Leser beunruhigend, denn sie sind manchmal überraschend ehrlich und direkt. Nach Koeppen bleibt der Faschismus immer eine Gefahr für Deutschland, wegen der antidemokratischen Neigungen vieler Deutscher. Der Faschismus führt unter den Menschen, ganz egal ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht, zu Angst und Verfremdung, und auch zu Gewalt. Die Menge vor dem Negerklub, die als eine Gruppe bereit ist, Gewalt gegen Andersaussehenden anzuwenden, ist nur ein Beispiel dieser Tendenzen. Auch überraschend ist es, wie einige Figuren ihre positiven Meinungen über Hitler äußern: der italienische Kneipenbesitzer sagt zum Beispiel, "Hitler hat recht gehabt!" [8] Auch der Doktor Behude, als er in ein Gespräch mit einem Nazi geriet, denkt für sich: "Die [Nazis] haben wieder Oberwasser; was auch geschehen mag, es treibt sie nach oben." [9]
Es ist aber nicht nur Deutschland, das Probleme mit ihrer Geschichte und mit den Ansichten ihrer Bürger hat. Der Rassismus kommt als Thema in diesem Buch sehr häufig vor, und zwar als ein internationales und rein menschliches Phänomen. Die Deutschen haben den Rassismus den Juden gegenüber ausgeübt, und die Amerikaner üben ihn noch gegen die Schwarzen aus. Washingtons Traum, eine Kneipe in Paris zu besitzen, mit einem Schild "NIEMAND IST UNERWÜNSCHT," zeigt nur die umfassende Natur des Rassismus. Auch die Beschreibung der Telefonzelle, der früher für Juden verboten war und in Amerika für Schwarzen verboten wäre, stellt klar, daß diese Auswirkungen des Rassismus vielleicht ein unüberwindliches Problem der Menschheit sind.
Dieser Haß gegen Andersfarbigen steht auch in Verbindung mit einer Mangel an Liebe, die den ganzen Roman prägt. Die Liebe existiert in Koeppens Welt fast überhaupt nicht mehr: sogar Philipp und Emilia, die sich einigermaßen vertrauen und gern haben, scheinen einander nicht zu lieben. Das Kind, das Carla nicht zur Welt bringen will, betrachtet sie nicht als ein Kind der Liebe, sondern als ein Kind des Nicht-alleinsein-wollens. Als Emilia zu sich sagt, "Jede menschliche Beziehung ist blöd," [10] könnte sie für fast jede andere Figur im Buch sprechen, außer Washington. Er aber scheint Carla zu lieben, und zwar erstaunlicherweise so, weil so viele Verhinderungen zwischen ihnen stehen. Er bringt aber ein kleines Bißchen Hoffnung in die sonst tief negative Welt: »with the other characters, Koeppen suggests that love is impossible, but with Washington Price he shows how difficult and improbable love is, not that it is impossible.« [11]
Religion kommt auch als thematisierter Begriff in dem Roman vor, und wird in einem höchst negativen Licht dargestellt. Das Mädchen Hillegonda hat schreckliche Angst vor ihrer Pflegerin Emma, weil Emma ihr immer wieder einprägt, daß sie beten muß, damit sie nicht auf ewig verdammt wird. Das Christentum verwirrt und beängstigt das Mädchen, und lehrt sie, sich selbst zu hassen. Als sie dann am Sterbebett von Josef steht und sich überlegt, was überhaupt vor Gott Recht wäre, kommt sie völlig durcheinander und bricht zusammen. Explizit wird der Vergleich nicht gemacht, aber man könnte behaupten, daß das Christentum auch einen Beitrag zu dem Chaos und zur Hoffnungslosigkeit in der Welt gemacht hat.
V. Stilistik
Die Struktur dieses Romans ist bemerkenswert komplex: die Erzählung ist in über 105 kleine Abschnitten geteilt, wobei jeder von einer bestimmten Figur und von dem, was ihr passiert, berichtet. Diese verschnittene Erzähltechnik führt dazu, daß der Ansichtspunkt des Erzählens sich immer wieder verändert: wir haben hier keinen dauerhaften Erzähler, sondern wir sehen jede Szene durch die Augen eines anderen Charakters.
Diese stets wechselnden Ansichtspunkten stellen aber eine Verbindung zwischen Form und Inhalt in dem Roman her. Weil man sich immer wieder vom neuen zurechtfinden muß, das heißt, man muß sich überlegen, wer jetzt spricht oder wovon jetzt die Rede ist, spürt man gewissermaßen das, was auch die Figuren selbst in ihrer Gesellschaft fühlen. Eine Spannung zwischen Verbindung und Isolation ist also immer zu finden: entweder man steht in enger Verbindung mit einem Charakter, und man versteht ihn und kann auch seine Gedanken zum Teil folgen, oder man ist isoliert, man verirrt sich und hat keinen Bezug zur geschaffenen Welt des Romans.
Die Montage-Technik, die Koeppen anwendet, um innerhalb dieser Szenenabschnitte seine Geschichte zu erzählen, hat keine Einschränkung in bezug auf die Charaktere, aber Zeit und Raum werden in den einzelnen Absätzen streng begrenzt. Immer wieder kehren die Figuren zu den selben Orten um, sie treffen sich im Hotel oder in einer Kneipe, und das alles innerhalb des begrenzten Zeitraumes des einen Tages in Februar. Auch werden die einzelnen Abschnitte auf erstaunliche Weise miteinander verknüpft: die Sprache selbst, die Koeppen benutzt, führt zu einer Art künstliche Verbindung zwischen den Menschen und ihren Erfahrungen.
Ein Beispiel dieser sprachlichen Verbindung sieht man in der Beschreibung einer der schon erwähnten Straßeneck-Szenen. Der erste Abschnitt fängt aus Emilias Perspektive an, als sie die Ampel anschaut:
| Grünes Licht. Messalina hatte sie entdeckt. Alexanders lustwütiges Weib. Emilia wollte ihr entwischen, wollte sich verstecken ... [12] |
Nach einer längeren Beschreibung ihrer Begegnung wechselt die Erzählperspektive zu Messalina hinüber, am Ende aber sehen wir wieder durch Emilias Augen, als sie denkt:
| ... ich muß mich beeilen, das grüne Licht. [13] |
Gleich am Anfang des nächsten Absatzes steht also die Verknüpfung, die wiederholten Worten "grünes Licht." Die Ampel ist wieder im Brennpunkt der Kamera, obwohl er diesmal aus der Sicht Josefs dargestellt wird:
| Das grüne Licht. Sie gingen weiter, Bahama-Joe. Josef blinzelte zum alten Wirtshaus »Zur Glocke« hinüber ... [14] |
Anhand dieser Wiederholungen kann der Leser also feststellen, wie und wo die Figuren such befinden; auch kann er dem Erzähler besser verfolgen, ohne daß ihn die wechselnden Sichtweisen verwirren. Die gleiche Art von Übergang erscheint immer wieder im Roman, als die einzelnen Szenen miteinander durch wiederholte Sätze verbunden werden. Auch aber werden die Abschnitte, die eine fortlaufende Geschichte erzählen sollen, die aber in Teilen auseineandergeschnitten werden, manchmal durch solche sprachliche Erinnerungen wiederverknüpft, was dem Leser dann hilft, die Reihenfolge der Erzählung besser verstehen zu können.
Es kommt noch dazu, daß verschiedene Orte und Gegenstände als Verbindungselemente oder Übergangspunkte auftauchen. Der Ampel, zum Beispiel, ist der Ort, wo viele Leute auf einmal zusammenkommen. Die meisten treffen sich da nicht, sie sehen einander gar nicht, aber der Erzähler nutzt diese Gelegenheit, den Gesichtspunkt zu wechseln und zu einer anderen Figur hinüberzugleiten. Auch das Hotel, die Kneipe, oder die Straßenbahn funktionieren auf diese Weise. Die Gegenstände im Roman, die von einer Person zu einer anderen gegeben oder geschenkt werden, dienen auch als Übergangspunkte: die Kette, zum Beispiel, schafft einen Wechsel in der Erzählansicht von Emilia zu Kay. Auch der Hund, der in viele Hände geriet, stellt Verbindungen und sogar Beziehungen zwischen den Menschen und ihren Erfahrungen her.
Diese Struktur, die die verschiedenen Abschnitte im Roman miteinander zusammenschließt, wird noch von einer anderen Art der Verbindung unterstützt. Innerhalb einer Szene kann man normalerweise eine Ringstruktur erkennen, die die Anfangsbeschreibung mit dem Bild am Ende des Abschnittes vergleicht oder verknüpft. Dieser zeitliche und oft räumliche Zusammenhang bringt zu den Abschnitten ein Gefühl der Ganzheit. Wie ein Kritiker es erklärt:
| Das Geschehen des Augenblicks, das erlebte Jetzt, beherrscht Einleitung und Schluß, dazwischen entfalten sich Träume, Erinnerungen und Hoffnungen: das hic et nunc, das den Rahmen bildet, wird vom Gegenlicht der Vergangenheit oder Zukunft durchleuchtet. [15] |
Dieselbe Art von zeitlicher und sprachlicher Verknüpfung zeigt sich als einheitlicher Strukturstil des ganzen Romans: am Anfang und am Ende haben wir einige Zeilen, die sich praktisch wiederholen und also den Vergleich deutlich machen. Das Bild am Anfang der Erzählung (»Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel«) gibt Koeppen am Ende noch deutlicher wieder: es stellt sich heraus, das »die Flieger, die am Himmel rumorten, [...] die Flieger der andern [waren].« Vor allem ist die Erläuterung der politischen Spannungen in Deutschland eine bemerkenswerte Strategie. Die Schilderung, die am Anfang so steht:
| ... man lebt in Spannungsfeld, östliche Welt, westliche Welt, man lebte an der Nahtstelle, vielleicht an der Bruchstelle, die Zeit war kostbar, sie war eine Atempause auf dem Schlachtfeld, und man hatte noch nicht richtig Atem geholt ... [16] |
wird am Ende mit kleinen Veränderungen wiederholt:
| Deutschland lebt im Spannungsfeld, östliche Welt, westliche Welt, zerbrochene Welt, zwei Welthälften einander feind und fremd, Deutschland lebt an der Nahtstelle, an der Bruchstelle, die Zeit ist kostbar, sie ist eine Spanne nur, eine karge Spanne, vertan, eine Sekunde zum Atemholen, Atempause auf einem verdammten Schlachtfeld. [17] |
Also bringt das Ende des Romans keine wesentliche Veränderung, weder für die meisten Figuren noch für Deutschland im allgemeinen, aber das geschilderte Bild wird schärfer eingestellt, und beeindruckt den Leser um so mehr wegen der Wiederholung. In beiden Fällen, am Anfang und am Ende, stehen die einzigen Abschnitte im Roman, die keine genannte Hauptfigur, sondern eine allgemeine Beschreibung des gegenwärtigen Lebens in Deutschland enthalten. Sogar die Schlagzeilen scheinen sich zu wiederholen, aber in umgekehrter Reihenfolge: hervorgehoben werden die politischen Spannungen, die Deutschland drängen und trennen.
Koeppens Sprache und stilistische Methoden in dem Roman sind vielfältig. Er benutzt eine Menge verschiedener Sprachebenen, die aber alle ganz natürlich auftauchen. Auf einem Niveau stehen z.B. Mr. Edwin und Philipp, beide als gebildete, intellektuelle Männer, die in einem ziemlich erhabenen Stil sprechen oder denken. Odysseus und Susanne oder gar die Jungen auf der Straße benutzten aber ein ganz alltägliches, fast ordinäres Deutsch, die auch zu ihren Charakteren paßt. Die Schlagzeilen, die durch den ganzen Roman immer wieder erscheinen, sind eine weitere Sprachebene, die innerhalb der Erzählung ihren richtigen Platz hat. Ein Kritiker bemerkt, wie diese Schlagzeilen auch zur Erzähltechnik Koeppens gehören: »wie Blitzlichter erhellen sie die Situation und verweisen auf die geschichtliche Stunde, lassen weltweite Bedrohung nicht vergessen.« [18]
Auffallend sind im Roman die Passagen, die im Stil eines Bewußtseinsstroms geschrieben sind, wo eine Figur sich einfach alles mögliche denkt, oft ohne kohärente Reihenfolge oder Grammatik. Dieser Stil fungiert bei Koeppen als eine Art Schilderung der Mentalität seiner Figuren, wie sie vor sich hinträumen und überlegen; auch gibt es uns, wie erwähnt, Einsicht in ihre Denkart und in ihre Persönlichkeit. Manchmal erscheinen im Roman auch Stellen, die als »erlebte Rede« bezeichnet werden können, wo eine Figur in geschriebenen Worten ausdrückt, was eigentlich nur in seinem Kopf umhergeht. Sogar eine Art innerer Dialog ist aber auch zu finden, an den Stellen, wo die Figuren sich miteinander treffen. Sie sagen manchmal nichts zu einander, trotzdem wird etwas vermittelt, und jeder scheint sogar zu wissen, was der andere denkt. Das Hauptbeispiel hierfür wäre die Szene im Domcafé, als Emilia sich mit ihrer Mutter trifft, und beide wissen, was die eine von der Lage und vom Verhalten der anderen hält, ohne daß sie ein Wort darüber äußern müssen.
Die außerordentlich vielen Anspielungen, die Koeppen in seinem Werk benutzt, geben dem Leser bestimmte Hinweisen, wie man den ganzen Roman zu deuten hat. Diese Anspielungen sind nicht nur aus der biblischen oder klassischen Mythologie: es kommen Namen oder Begriffe aus aller Welt und aller Zeit vor; die werden auch völlig nahtlos in die Beschreibungen eingebaut, und dienen manchmal als Erklärung besonderer Eigenschaften. Sogar eine der Hauptfiguren, Odysseus, hat einen mythologischen Namen, der seinen Erfahrungen im Roman auch entspricht: er ist der Symbol menschlichen Umherirrens, der nie zu Ruhe kommen kann und, genau wie die Tauben, die momentan im Gras sich ausruhen, wird er immer wieder fortgetrieben.
Ausgewählte Bibliographie:
Basker, David. Chaos, Control, and Consistency: The Narrative Vision of Wolfgang Koeppen. Berne: Peter Lang, 1993. |
Bungter, Georg. »Über Wolfgang Koeppens Tauben im Gras.« In: Über Wolfgang Koeppen, hrsg. Ulrich Greiner (Frankfurt: Suhrkamp, 1976), S. 186-197. |
Gunn, Richard L. Art and Politics in Wolfgang Koeppens Postwar Trilogy. Berne: Peter Lang, 1983. |
Koeppen, Wolfgang. Tauben im Gras. Frankfurt: Suhrkamp, 1980. |
Zitate:
(1) | Bungter, Georg. »Über Wolfgang Koeppens Tauben im Gras.« In: Über Wolfgang Koeppen, hrsg. Ulrich Greiner (Frankfurt: Suhrkamp, 1976), S. 195. [return to text] |
(2) | zitiert nach Gunn, Richard L. Art and Politics in Wolfgang Koeppens Postwar Trilogy. Berne: Peter Lang, 1983., S. 30. [return to text] |
(3) | Bungter, S.187-188. [return to text] |
(4) | Bungter, S. 187. [return to text] |
(5) | Bungter, S. 188. [return to text] |
(6) | Gunn, Richard L. Art and Politics in Wolfgang Koeppens Postwar Trilogy. Berne: Peter Lang, 1983, S. 32. [return to text] |
(7) | Koeppen, Wolfgang. Tauben im Gras. Frankfurt: Suhrkamp, 1980, S. 158. [return to text] |
(8) | Koeppen, S. 169. [return to text] |
(9) | Koeppen, S. 166. [return to text] |
(10) | Koeppen, S. 167. [return to text] |
(11) | Gunn, S. 34. [return to text] |
(12) | Koeppen, S. 49. [return to text] |
(13) | Koeppen, S. 51. [return to text] |
(14) | Koeppen, S. 51. [return to text] |
(15) | Bungter, S. 192. [return to text] |
(16) | Koeppen, S. 9. [return to text] |
(17) | Koeppen, S. 210. [return to text] |
(18) | Bungter, S. 193. [return to text] |
Written and © Nancy Thuleen in 1995 for German 632 at the University of Wisconsin-Madison.
If needed, cite using something like the following: Thuleen, Nancy. "Sprache, Stil, und Thematik in Wolfgang Koeppens Tauben im Gras." Website Article. 24 April 1995. <http://www.nthuleen.com/papers/632paper.html>.
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