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Der Begriff des Märchens im Goldnen Topf

»Ein Märchen aus der neuen Zeit« hat Hoffmann sein Werk genannt, und darin liegen für den Leser einige Hinweise, wie man die ganze Geschichte zu interpretieren hat. Der Begriff des Märchens ist in diesem Roman äußerst wichtig, nicht nur wegen der märchenhaften Elementen, aber auch wegen des wirklichen Märchens, das innerhalb der Geschichte auftaucht. Des Begriffs der romantischen Universalpoesie treu, enthält dieses Kunstwerk dann ein Teil von sich selbst, denn die Geschichte ist selbst ein Märchen, aber sie erzählt auch einen Märchentext.

Das Phosphorus-Märchen, das in der dritten Vigilie erzählt wird, wirkt unmittelbar auf die Interpretation der ganzen Geschichte. Diese phantastische Erzählung erklärt den Lesern von der Herkunft und der Familie des Archivarius, was unheimlich wichtig für das Verständnis der Rahmengeschichte ist. Sie gibt den Lesern den Hintergrund, den wir brauchen, um den Rest der Ereignisse in der Geschichte richtig zu verstehen. Sie ist aber auch, wie der ganze Roman, zweideutig: hier stellt man zum erstenmal fest, daß es zwei Seiten zu der Geschichte Hoffmanns gibt, und auch zwei verschiedene Interpretationen, die wir dann herauskriegen können. Entweder könnten wir, wie von dem Titel her impliziert wird, den ganzen Roman als eine erfundene und märchenhafte Geschichte verstehen, und deshalb das Geschehen am Ende für völlig erklärbar halten (d.h. Anselmus geht nicht zur Atlantis, sondern springt in den Fluß und ertrinkt); oder wir könnten die Erzählung als eine phantastische Reportage interpretieren, wenn am Ende vom Erzähler beschrieben wird, daß Anselmus endlich die Welt des wahren Künstlertums erreicht hat und da mit seiner geliebten Serpentina lebt. Beide Interpretationen sind durchaus möglich; auch durch das ganze Buch hindurch tauchen zweideutige Hinweise auf diese Frage auf. Das Feuer, zum Beispiel, welches von den Fingern des Archivarius aufspringt, kann man entweder als Chemie oder als Magie betrachten: diese zwei Möglichkeiten werden vom Erzähler selbst angeboten. Es scheint aber doch, daß beide Interpretationen nicht gleich möglich sind, vom Standpunkt des Erzählers gesehen: als der nächste Bewerber um den zweiten goldnen Topf, scheint er deutlich der Seite des Phantastischen zuzuneigen.

Auch sind die märchenhaften Elemente der Erzählung überhaupt nötig, um zu einem guten Verständnis des Buches zu kommen. Diese Elemente, die vom Anfang an in der Geschichte erscheinen (z.B. auf der ersten Seite hören wir die Prophezeiung des alten Äpfelweibs), ermöglichen denn das Verständnis der Zwiespältigkeit der Welt, in der Anselmus lebt: sie zeigen den wichtigen Kontrast zwischen dem Wunderbaren und dem Alltäglichen, der uns diese Gespaltenheit vorbringt. Nicht nur sind diese Kontraste aber für uns ein Mittel, um das geteilte Leben Anselmus' zu erkennen, sondern sie erzeugen auch die Sphäre des Phantastischen, den Übergangspunkt zwischen den beiden Welten.

Die Illusion aber, die durch diese Kontraste erzeugt wird, wird dauernd vom Erzähler selbst gebrochen. Anstatt das Märchenhafte einfach darzustellen, als ob es nicht in Frage käme, versucht er stets diese phantastischen Elemente zu erklären, indem er eine realistische Erklärung für viele merkwürdige Stellen im Roman gibt. Auch bricht er die Illusion einer magischen Welt durch seinen Humor und durch das direkte Anreden an die Leser: dieses passiert am häufigsten in der Geschichte genau an den Stellen, wo die Spannung am höchsten steht: in der Szene, zum Beispiel, wenn Anselmus in der Kristallflasche gefangen sitzt, und der Erzähler anderthalb Seiten lang zu den Lesern dann über seine Lage plaudert.

Auch aber ist der ganze Roman selbst als ein Märchen zu betrachten, ganz egal ob man die Ereignisse der Geschichte für phantastisch oder erklärbar hält. Hoffmann hat diese Geschichte als ein Märchen geplant, wie wir vom Titel her sehen können. Was heißt aber eigentlich diese Bezeichnung »Märchen aus der neuen Zeit«? Es scheint irgendwie hier ein Paradox zu sein, daß die Geschichte ein Märchen ist aber zur gleichen Zeit aus der neuen Zeit stammt, denn der Begriff des Märchens impliziert, daß die Ereignisse fabelhaft oder magisch sind, während etwas aus der neuen Zeit eher realistisch oder wenigstens möglich sein soll. Doch paßt diese Bezeichnung eigentlich genau her, wie wir gesehen haben: der Titel verrät die Zwiespältigkeit des Ganzen, und deutet den Lesern an, daß diese Geschichte doch eine tiefere Bedeutung hat, als man zuerst zugeben will.


Parallelen zwischen Kleist und den Romantikern

Kleist übt eine starke und offene Kritik an die Aufklärung und an ihre Idealen in seinem Drama Prinz Friedrich von Homburg. Der Kurfürst, der ein eindeutiger Aufklärermensch ist, wird, wenn nicht ganz satirisiert, wenigstens in negativer Betrachtung dargestellt. Seine Vorstellungen der Macht und der Machtverhältnissen, denen er untergesetzt wird, gehen irgendwie im Stück schief, und am Ende steht er da als Held im Namen allein. Dieses ist dann ein typisch romantisches Merkmal: die Kritik an die alleinstehende Verstand, Ordnung, und Gefühlslosigkeit. Kleists Ansichten kommen hier zur klaren Sicht, indem er behauptet, daß man nicht nur durch das Gesetz regieren kann, als der Kurfürst es haben will. Weder aber kann man durch das Gefühl allein gewinnen: der Prinz Friedrich, der eher als ein Gefühlsmensch geschildert wird, ist auch nicht am Ende der wirkliche Sieger, weil er, wie die Armee und die anderen Offiziere, vom Kurfürst völlig instrumentalisiert wird. Beide Hauptfiguren gehen dann durch ihre unbeholfene Einseitigkeit zugrunde. Ist das dann so typisch für die Romantik? Die Antwort ist nicht ganz klar, aber eher nein. Tatsächlich kommt es mir vor, daß Kleist hier die übertriebenen Gefühlsäußerungen der Romantikern auch kritisiert, indem er sich für eine gemilderte Mischung der Gefühle mit der Ordnung einsetzt.

Auch in anderen typischen Merkmale der Romantik scheinen die Idealen Kleists nicht gerade zu passen. Er schreibt zwar wie ein Romantiker, in dem er sich mit Liebe, Freiheit, und Individualität beschäftigt, aber in diesem Stück tauchen in der Tat sehr wenig von diesen romantischen Begriffen auf. Die Sehnsucht, zum Beispiel, die in fast jedem frühromantischen Werk ein Zentralbegriff ist, wird hier nie direkt zum Thema. Vielleicht könnte man behaupten, daß Friedrich sich nach der Liebe sehnt, oder daß er später Sehnsucht nach dem Leben oder nach der Freiheit hat, aber die Sehnsucht ist immerhin nicht eine zentrale Beschäftigung des Dramas. Auch kommt das Künstlertum nie hier zum Vordergrund; wir hören nichts von den Künstlern, und es gibt fast keine Gesänge, Malereien, oder andere Kunstwerke -- keine Kunst außer der, womit Kleist selbst das Drama schrieb. Weder die Religion noch das Phantastische sind hier von Wichtigkeit, was sicher untypisch für ein romantisches Werk ist.

Träume spielen in dem Drama doch eine Rolle, es muß zugegeben werden, aber der Traum Friedrichs ist eigentlich nur wichtig als ein Instrument: dadurch, daß Friedrich träumt, kann der Kurfürst sich über ihn lustig machen, und ihn als ein Instrument behandeln. Die Natur, die bei allen Romantikern ein heiliges Thema ist, wird hier auch instrumentalisiert: wir sehen am Anfang den Prinzen unter einem Baum sitzen, und erfahren, daß er sich einen Kranz aus den Zweigen windet. Es muß dann klar sein, daß die Ansichten, die Kleist hier äußert, nicht als typisch romantisch betrachtet werden können. Ob das auch eine Kritik an die Romantik ist, würde ich nicht ohne Bedenken behaupten wollen. Seine Meinungen sind nicht gegen die romantischen Idealen völlig entgegengesetzt, und sie widersprechen einander eigentlich nicht. Kleist scheint hier zum größten Teil nur in eine andere Richtung sich hineinzuschreiben, und muß dann weder als romantisch noch als antiromantisch, aber nur als unromantisch, bezeichnet werden.


Die Darstellung der alltäglichen Welt in Tiecks Runenberg

Frage: Die Darstellung der alltäglichen Welt bei Tieck hat mehrere Seiten; besonders in dem Runenberg sehen wir, daß diese Welt oft langweilig und einsam ist, aber doch für manche Leute bequem. Wie steht aber diese Welt im Vergleich zur märchenhaften, romantischen Welt der schönen Frau? Gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen den beiden Welten?

Tieck liefert in seinem Runenberg eine Beschreibung von zwei verschiedenen und widersprüchlichen Welten, die trotzdem aber viele Ähnlichkeiten teilen. Vor allem tauchen die Bilder der alltäglichen Welt bei Tieck als realistische Darstellungen seiner Landsleute. Die Welt im Dorf ist als gar nicht so schlecht geschildert, obwohl es schon viele Schwierigkeiten da gibt. Wir sehen, zum Beispiel, die Armut und Elend der armen Elisabeth, die, nachdem der Christian wieder hinwegwandert, um die Kinder und die Wirtschaft des Bauernhofes sich selbst kümmern muß. Auch aber werden die Frommigkeit, die Gemütlichkeit, und die Glückseligkeit der Dorfleute dargestellt: diese sind zum größten Teil gute Menschen, die ein einfaches und stilles Leben auf dem Lande führen wollen. Dieses Bild der vereinigten Guten und Bösen kommt mir ziemlich realistisch vor: weder völlig positiv noch extrem negativ wird das Leben hier vom Erzähler beurteilt. Auch in den Beschreibungen Christians sehen wir ein ambivalentes Verhältnis zum alltäglichen Leben: er verläßt seine Eltern weil er sich da langweilt; als er dann Elisabeth heiratet, fühlt er sich glücklich und zufrieden mit dem Leben im Dorf; trotzdem wird er später wieder zu der schönen Frau und zu dem magischen Leben zurückgezogen.

Im starken Kontrast zu diesen friedlichen Bildern des Bauernlebens stehen die phantastischen aber auch irgendwie störenden Schilderungen der magischen Welt der schönen Frau. Diese Welt ist unaussprechlich schön, erzählt uns Tieck, aber sie ist auch gefährlich. Christian fühlt sich in diese Welt hineingezogen, ohne daß er dazu Widerstand leisten kann; er hat eigentlich keine Wahl über sein Schicksal. Er selbst erkennt diese Gefahr, als er zum erstenmal in das Fenster hineinschaut und die schöne Frau da tanzen sieht: er hat Angst und »zittert«, obwohl er auch entzückt ist. Es ist vielleicht eine Erklärung dafür, daß diese Welt, anstatt rein märchenhaft zu sein, eigentlich eher Attributen des Dämonischen zeigt, indem sie gefährlich und an manchen Stellen sogar grotesk aussieht. In diesem Fall kommt die schöne Frau selbst als ein Symbol der Mannigfaltigkeit der märchenhaften Welt vor. Diese Frau, die am Anfang rein und schön erscheint, stellt die schöne, reizende Seite ihrer Welt dar, während der Fremde, der Christian zu besuchen kommt, die Schilderung dieser Welt als unerkennbar oder unbewußt fortsetzt; am Ende dann erscheint dieselbe Figur als das häßliche Waldweib, vor der alle »normale« Menschen große Angst haben -- das Groteske in dem märchenhaften Bild.





Written and © Nancy Thuleen in 1992 for German 142 at Pomona College.

If needed, cite using something like the following:
Thuleen, Nancy. "Der goldne Topf, Kleist und die Romantik, Tiecks Runenberg." Website Article. 26 October 1992. <http://www.nthuleen.com/papers/142midterm.html>.