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Die Vorstellung der alltäglichen Welt bei Hofmannsthal und Hauptmann
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Obwohl Hugo von Hofmannsthal normalerweise als Symbolist und Gerhart Hauptmann als Naturalist beschrieben sind, haben diese beiden Autoren einige gemeinsame Ansichten der alltäglichen und sozialen Welt gegenüber. In Hofmannsthals Gedicht »Ballade des äusseren Lebens« sehen wir klar seine Vorstellungen von dieser Welt, so wie auch seine Meinungen von der Industrialisierung und von der Armut der damaligen Arbeiterklassen; auch sehen wir, daß diese Ansichten sehr ähnlich zu ihren Gegenstücken in Hauptmanns Drama Die Weber sind.
Die Auffassung dieser zwei Werke von der Armut und von dem Leben der normalen Menschen ist eigentlich fast dieselbe: Hofmannsthals Kinder »wachsen auf mit tiefen Augen«, genau wie die schlesischen Weber immer Hunger und tiefe Augen haben; Mutter Baumert in dem zweiten Akt hat, schreibt Hauptmann, »versunkene Augen«. Hofmannsthals Kinder wissen nichts, und die Weberkinder sind auch oft idiotisch, wie August Baumert. Die Früchte in Hofmannsthals Gedicht »fallen nachts wie tote Vögel nieder«; nichts bleibt gut hier in seiner Welt, alles verdirbt und stirbt, und man hat das Gefühl, als ob das Leben sinnlos und zwecklos ist. Es ist fast genau dasselbe bei Hauptmann; wie die Früchte fällt der Junge im ersten Akt und liegt »wie tot an der Erde«, weil er Hunger hat. Ein Gefühl von der sinnlosen, vergänglichen Existenz ist auch dabei in den Webern, weil alles so nutzlos und ermüdend aussieht; die Menschen hier haben keine Lebensziele mehr, außer zu überleben. Die oberen Klassen bei Hauptmann sind fast gleichgültig und machen sich keine Sorgen um die Lage der Weber, genau wie, bei Hofmannsthal, »alle Menschen gehen ihre Wege«. Man soll aber gestört sein, behaupten beide Autoren, weil, als Hofmannsthal es in dem Gedicht »Manche freilich« ausdrückt, beide Klassen profitieren, wenn sie mit einander verbunden sind und zusammen arbeiten.
Die Vorstellung von der Industrie und der Mechanisierung der modernen Welt ist auch hier ziemlich klar gezeigt. Oft wird die Natur zerstört, um Platz für die Industrie zu machen, zum Beispiel Hofmannsthals »Straßen laufen durch das Gras«, wie bei den Webern, wenn Frau Heinrich sich eine Scherbe eintritt, die nur zufällig da war, denn sie muß barfuß durch die Straßen gehen. Die Häuser der Weber sind auch »unzählig viele«, aber sie müssen da sein, um so viele Leute zu beschützen. Hofmannsthal fragt dann, »wozu sind diese aufgebaut?«, aber weder er noch Hauptmann gibt uns eine Antwort dafür.
Ein noch wichtigeres Beispiel der Ähnlichkeiten der Ansichten in diesen Werken taucht in der Stilistik auf. In beiden Werken sind die Zentralfiguren eigentlich keine Personen, sondern Ideen und Begriffe, die ausgedrückt werden müssen. Bei Hofmannsthal folgen die Zeilen einander, mit dieser fast leeren Wiederholung von »und ... und ... und«; es scheint, als ob die Zeilen zu etwas führen werden, dann aber hören sie auf; später fangen sie wieder an, und der ganze Zyklus kehrt zurück. Die Akte in Hauptmanns Drama haben fast das selbe Gefühl: sie fangen ganz ruhig an, dann baut sich die Spannung, und es scheint als ob etwas wichtiges passieren wird; dann aber hört die Spannung auf, nur in dem nächsten Akt wieder anzufangen. Das Symbol von den Waben bei Hofmannsthal hat auch eine Parallele in den Webern: obwohl die Waben hohl sind, fließt Honig aus ihnen heraus, genau wie, bei Hauptmann, die Welt der Weber so verdorben und häßlich aussieht, doch aber kommen tiefe Gefühle und schöne Wörter und Taten daraus. Alles wird in beiden Werken mit einander verbunden; Hofmannsthal verbindet Kinder mit Menschen, den Tod mit dem Leben, und die Industrie mit der Natur. Hauptmann verbindet auch viel, obwohl bei ihm ist es anders: die Weber verbinden sich mit einander; obwohl sie keine echten Verbindungen haben, kommen sie zusammen, um zu kämpfen, und um ihre Lage zu verbessern. Die beiden Werke sind dann eigentlich in diesem Fall sehr ähnlich, obwohl in anderen Eigenschaften haben sie sehr wenig gemeinsam.
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Ist Hofmannsthal Symbolist?
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In den meisten Gedichten von Hofmannsthal, die wir gelesen haben, scheint der Dichter fast ein »normaler« Symbolist zu sein: die Themen, die er behandelt, stimmen zum größten Teil mit den Theorien des Symbolismus ein, und, wenn man seine anderen Werke nicht kannte, würde man glauben, daß er ein vollkommen echter Symbolist wäre. Kurz gesagt wollten die Symbolisten eine Welt der reinen Ideen aufzubauen, und zwar, eine Welt, die nur existieren durch ihre zusammenhängenden Symbole kann. Sie sagten, daß der Künstler aus der sozialen oder bürgerlichen Welt flüchten muß, und, weil die Moral ein Teil dieser sozialen Welt ist, müssen die symbolistischen Helden amoralisch oder sogar unmoralisch sein, wenn sie völlig von der Bürgerlichkeit befreit sind. Die Kunst ihrer Dichtung, glaubten die Symbolisten, soll schöne Form und Struktur haben, aber die Inhalt soll gar nicht so wichtig sein, außer daß es die Gefühle berühren muß.
Hofmannsthal stimmt im wesentlichen mit den Symbolisten ein, wenigstens in seinen Gedichten. Ein sehr häufiges Thema bei ihm ist die sinnlose Existenz dieser Welt; man sieht seine Vorstellung davon besonders klar in den »Terzinen über Vergänglichkeit« und der »Ballade des äusseren Lebens«, so wie auch in »Manche freilich«. Der Künstler flüchtet aus dieser zwecklosen Welt im »Reiselied«, und er benutzt die Kunst als Lösung zu seinen Problemen. Träumen und mystische Erfahrungen führen zu der Lösung in dem »Chandos-Brief«, und auch, im gewissen Sinn, in »Manche freilich«. Hofmannsthal beschäftigt sich häufig mit der Thema der Pre-Existenz, und oft impliziert er, daß nur die Künstler die Verbindungen zwischen verschiedenen Symbolen und Sachen in dieser Welt verstehen können; diese Themen sehen wir durchaus in den »Beiden«, in dem »Weltgeheimnis«, und auch in »Vorfrühling«. Alle seiner Gedichten haben eine schöne Form und Struktur, mit guten Beispielen des Binnenreims in »Vorfrühling«; auch wichtig ist die sanfte, oft exotische Magie seiner Worten, als in den »Beiden«. Vielleicht ist aber das wichtigste Merkmal seiner Dichtung dem Symbolisten gegenüber die engen Verbindungen und Verhältnisse seiner Symbole in fast allen seiner Gedichten. In jedem Wort, das Hofmannsthal schreibt, steht viel Bedeutung, weil die Welt des Gedichts immer durch den Zusammenhang von ihren Symbolen sich aufbaut. Sein »Brief« hängt durch die Symbole und Bilder zusammen, während »Die Beiden« und »Lebenslied« sehr viele verschiedene Symbole haben, z. B. Symbole von der Sexualität, von der Liebe, dem Leben, den Gefühlen, und von der Religion.
In seinen Prosastücken zeigt Hofmannsthal aber eine ganz andere Art von Stil -- hier hat sein Schreiben fast anti-symbolistische Züge, und er kommt eigentlich sehr nah an den Naturalismus heran. Im Kontrast zu den Symbolisten glaubte Hofmannsthal, daß es in Wirklichkeit eine Verbindung zwischen dem Ich und der Welt gab, und er versuchte, diese Verbindung zu finden. Er wollte nicht einfach eine Befreiung von der Welt, sondern suchte er das Gleichgewicht zwischen der Entfremdung und der Verbindung. Später, besonders in seinem »Brief« und in dem Schwierigen, stellte er die Sprache selbst in Frage. Die Bedeutungslosigkeit war für ihn sehr wichtig, weil er glaubte, daß die Symbole nicht immer zusammenhängen konnten. Die Reitergeschichte ist ein ganz gutes Beispiel dieser Themen, weil es gar nicht symbolistisch ist, sondern hat es eher ein naturalistisches Gefühl. Obwohl es schon Symbole hier gibt, kommen sie meistens nur aus der bürgerlichen Welt, und sie bauen keine neue Welt, weil sie gar nicht zusammenhängen können. Anton Lerch hat viele Träume, aber sie sind eher materielle, bürgerliche, und sexuelle Machtträume, und sie führen zu nichts: sie führen ihn nur zum Tode, und sogar im Tode kann er nicht aus der Welt flüchten. Es gibt hier keine Lösungen, fast keine Verbindungen, und nur ein paar Symbole -- es gibt eigentlich nur Zerstörung. Die Kunst spielt hier fast keine Rolle, und, wenn sie eine Rolle hat, ist sie nur als etwas unbewußtes oder körperliches da. Die Symbole und die Träume zerstören Anton Lerch, anstatt ihm zu helfen oder ihn zu retten. Sogar der Stil ist hier nicht symbolistisch, sondern naturalistisch oder, besser gesagt, realistisch. Die Geschichte fängt in einem sehr trockenen, beschreibungsvollen, und ziemlich detaillierten Ton an, als ob es ein Bericht aus der Zeitung wäre. Obwohl es später ein bißchen sanfter und lyrischer wird, bleibt es fast immer materiell, weil es die wirkliche Natur anstatt etwas symbolistischeren darstellt. Am Ende kriegen wir eigentlich nicht so viel Mitleid oder Mitgefühl für Anton Lerch, weil alles so hart und trocken beschrieben wird: »der Wachtmeister taumelte ... zwischen dem Braunen und dem Eisenschimmel zu Boden«.
Hugo von Hofmannsthal hat sicher ein enges Verhältnis zu den Symbolisten, obwohl er auch viele nicht-symbolistische Merkmale zeigt. Besonders in seinen Gedichten, die wir gelesen haben, tauchen immer wieder symbolistische Begriffe, Themen, und Auffassungen auf; in seinen Prosastücken aber, besonders in der Reitergeschichte, zeigt er andere, fast naturalistische Züge. Es ist ziemlich klar, daß man ihn weder als »echter« Symbolist noch als Naturalist bezeichnen kann, besonders weil er so viele verschiedene Stile und Themen von beiden Schulen benutzt, und weil er später, als wir schon gesehen haben, völlig einen anderen Ton und Stil entwickelte.
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Die Lulu-Dramen als antinaturalistische Stücke
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Frank Wedekinds Dramen Erdgeist und Die Büchse der Pandora haben eigentlich manche naturalistischen Elementen, obwohl sie als »antinaturalistisch« beabsichtigt waren. Diese naturalistischen Züge sind aber nur die allgemeinen Begriffe, von denen die Dramen handeln; Wedekind benutzt gar nicht die stilistichen oder moralischen Theorien der anderen Naturalisten zu seiner Zeit, sondern entwickelt er einen neuen Stil und eine neue Theorie des Dramas, die später sehr wichtig für die Expressionisten sein würde.
Die naturalistischen Merkmale in den Lulu-Dramen haben hauptsächlich mit der Theorie der Kunst zu tun. Bei den Naturalisten soll die Kunst nicht eine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern eine Verbesserung der Realität sein. Wedekind glaubt das auch, als sogar die Wahl der Thema zeigt: Lulu ist keine reiche, gedankenlose Verführerin; sie ist eher realistisch, weil sie arm und glaubhaft ist, und sie wird am Ende einen höchst-realistischen Tod treffen. Die allgemeinen Themen, mit denen Wedekind sich beschäftigt, sind auch zu der naturalistischen Kunstauffassungen treu: die Lulu-Dramen handeln, ähnlich wie anderen naturalistischen Dramen, von unterdrückten Freiheiten, Sexualität, und Repressionen, so wie auch von aktuelle Themen wie Lustmord, Armut, und gesellschaftlichen Konflikten. Wedekind versucht manchmal auch, seine Figuren psychologisch zu untersuchen, obwohl nicht so viel als bei vielen damaligen Dramatikern.
Written and © Nancy Thuleen in 1991 for German 150 at Pomona College.
If needed, cite using something like the following: Thuleen, Nancy. "Hofmannsthal, Hauptmann, Wedekind." Website Article. 18 December 1991. <http://www.nthuleen.com/papers/150midterm.html>.
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