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Maria Stuart als beispielhaftes idealistisches Drama

Maria Stuart enthält in sich die Begriffen aus vielen verschiedenen literarischen Schulen -- und dadurch zeigt es die Progression dieser Begriffen durch das 18. Jahrhundert hindurch, von dem strengen Klassizismus bis zu der Empfindsamkeit und zu dem Sturm und Drang, und dann in die Klassik. Am wichtigsten für dieses Drama ist das Humanitätsideal: es ist aber hier eine tragische Version des Ideals -- Maria muß also sterben, weil die Welt diese Wahrheit nicht akzeptiert.

In dieser Version des Ideals sieht man aber auch Züge der Monaden von Leibniz. In jeder Monade, wie auch hier in jeder Figur des Dramas, gibt es ein Funken von Verstand. Manche haben aber mehr Verstand als anderen, und können sich also weiterentwickeln. Daher kommt die Idee des Menschheitideals: der Mensch kann sich zu einem höheren Wesen entwickeln, wenn er sich dazu zwingt.

Man muß doch daran glauben, daß alles in dieser Welt doch am besten ist -- wie Maria, die glauben muß, daß ihr Tod in der Tat das beste ist, was jetzt passieren könnte. Sie erkennt also ihre Schuld, und sie erkennt, daß sie sterben muß, weil sie schuldig ist -- aber nicht aus denselben Gründen, wie Elizabeth und die anderen es vorschlagen. Diese andere Figuren sind einfach die niedrigeren Monaden, die noch nicht so weit entwickelt sich und die nicht genug Verstand haben, die Lage richtig zu erkennen. Auch gibt es hier, wie bei den Monaden von Leibniz, keine Trennung zwischen dem Geist und der Materie. Maria ist eine unzertrennbare Substanz, die Geistiges, Körperliches, und Seelisches in sich enthält. Ihre Selbsterkenntnis kommt also durch die Interaktion von allen diesen Elementen, und sie kann sich also zum Humanitätsideal weiterbringen, weil sie in Harmonie mit allen ihren Aspekten existiert.

Am zweitwichtigsten in diesem Stück ist die Struktur -- und jetzt sieht man deutlicher den ganzen Lauf der Theorien zu diesem Thema. Die dramatischen Einheiten sind durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch ein Streitthema gewesen. Zuerst schlug also Gottsched vor, daß man sich doch an den aristotelischen Einheiten festhalten sollte, wie die Franzosen es in ihren klassischen Dramen machten. Es kam dann die Epoche des deutschen Klassizismus, in der strenge Regeln die einzige Mode war -- die Nachahmung der Franzosen und dadurch der alten Griechen und Römern war das einzig Akzeptable. Dann aber kamen Lenz und die anderen Stürmer und Dränger, die behaupteten, daß man doch einige Freiheiten nehmen sollte. In der Tat gab es dann eine Rebellion gegen alles »klassisistiche«. Die Personen wurden am wichtigsten, und alles andere fiel fast zur Seite -- wie in Götz von Berlichingen von Goethe, wo die einzige Einheit im ganzen Stück die Figur von Götz ist. Nach diesem heroischen aber doch gescheiterten Versuch kam eine Milderung und Mischung der beiden Begriffen, und man glaubte also während der deutschen Klassik, daß die Regeln zwar wichig seien, aber nur als führendes Prinzip -- die ganze dramatische Theorie sollte also flexibler sein. Das sieht man klar in Maria Stuart : es gibt zwar eine Einheit der Charakter hier, aber nicht der Zeit, und nur kaum des Ortes.

Auf eine andere Weise basiert sich aber die Theorie hinter Maria Stuart doch auf die klassischen Ideen, denn die Personen in dieser Tragödie, wie auch in den alten griechischen Tragödien, sind Adligen, nicht das gemeine Volk. Es gab aber eine Zeit, wie bei Lenz und Lessing, wo Dramatiker echte Tragödien mit bürgerlichen Familien zu schreiben versuchten -- es scheint aber, daß die deutschen Dramatiker der Klassik sich wieder an die alten Idealen sich gewendet haben. Die Moral in Maria Stuart bleibt aber der Lenzischen ähnlich: »handele mit Verninft«, behauptet Lenz, und sei nicht blöd -- was auch die endgültige Lehre bei Maria Stuart ist.

Es gibt aber auch andere Elemente in Maria Stuart, die nicht nur zur »klassischen« Bezeichnung passen. Das ganze Prozeß des Dramas, in dem die Figuren, oder wenigstens Maria, zu einem Selbsterkenntnis (einer Peripetie) kommt, hört sich sehr ähnlich der frühen Sprüchen Hamanns an: »Das Leben ist nicht ein Wesen, sondern ein Werden.« Auch bei Hamann war also das Selbsterkenntnis wichtig -- man muß, wie Kant es ausdrückt, zu einem »Ausgang der Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« kommen, bevor man zu einem höheren Wesen sich entwickeln kann. Das Humanitätsideal ist also nicht so ein ganz überraschender Begriff, wenn man die früheren literarischen und philosophischen Ideen in Betracht zieht. Was bleibt hier aber innovativ, ist die Anwendung dieser Theorien, und die Kraft des ganzen Dramas, das von Marias Entwicklungsprozeß zu dem dramatischen Katharsis geführt und begleitet wird.





Written and © Nancy Thuleen in 1993 for German 131 at Pomona College.

If needed, cite using something like the following:
Thuleen, Nancy. "Maria Stuart als beispielhaftes idealistisches Drama." Website Article. 5 May 1993. <http://www.nthuleen.com/papers/131short.html>.